Andreas Schäfer | DIE SCHUHE MEINES VATERS

D 2022 | 208 Seiten
DuMont Verlag
ISBN: 978-3-8321-8258-8

An einem regnerischen Sonntagnachmittag verlor ich das Gesicht meines Vaters.

(Seite 7)

Vor ein paar Jahren kam Andreas Schäfer in eine Situation, die man niemandem wünscht: Er musste entscheiden, ob die Maßnahmen, die seinen komatösen Vater am Leben hielten, abgeschaltet werden sollten oder nicht. Dass es bei solch einer Wahl weniger um das Wohl des Patienten geht, als vielmehr um einen erbitterten Kampf mit sich selbst, liegt auf der Hand. Wann ist man schon bereit, jemanden für immer gehen zu lassen? Von dieser existenziellen Erfahrung handelt Schäfers berührender Roman DIE SCHUHE MEINES VATERS.

Eigentlich sollte es nur eine kleine Untersuchung sein, ein kurzer Eingriff, um klarzustellen, ob sich der längst besiegt geglaubte Krebs wieder in Robert Schäfers Kopf ausbreitet. Doch während der Operation erleidet der Vater des Autors eine Hirnblutung und wird ins künstliche Koma versetzt. »Mit einer Blutung in diesem Hirnbereich ist leider kein Leben mehr möglich« (S.18), so der behandelnde Arzt; die Entscheidung, wann der Vater versterben soll, liege nun bei der Familie.

Mit diesen an Tragik kaum zu überbietenden Szenen beginnt der Roman, in dessen weiteren Verlauf wir viel über den Vater erfahren. Schäfer, der die Arbeit an diesem Text erst mit genügend zeitlichem Abstand begann, legt Schicht um Schicht das Leben seines Vaters frei und offenbart dabei auch sehr persönliche Einblicke in die Vater-Sohn-Beziehung, die nicht immer ohne Reibung war. Robert Schäfer, der zu Beginn des Romans – also kurz vor seinem Tod – recht gelassen und mit sich im Reinen wirkt, war in jüngeren Jahren nicht gerade ein sympathischer Mensch. Er war ein Choleriker, war schnell beleidigt und fraß jede kleine Auseinandersetzung zunächst in sich hinein, nur um sich später in Wutausbrüchen Luft zu machen. Nicht selten war der Sohn Ziel seines Furors, was bei diesem zu einer permanenten Habachtstellung führte, die er auch als Erwachsener und bei harmonischeren Begegnungen nicht wieder ablegen konnte.


Doch DIE SCHUHE MEINES VATERS ist keine plumpe Abrechnung mit einem verhassten Familienmitglied, ganz und gar nicht. Es ist der Versuch, aufrichtig und würdevoll Abschied zu nehmen – es ist ein Friedensangebot. Denn auch Vater Robert hatte seine Kreuze zu tragen. Als Kind im Zweiten Weltkrieg musste er mit ansehen, wie sein Haus – und somit auch gleich der mittelständische Fleischereibetrieb der Familie – einem Bombardement zum Opfer fiel. Später dann wurde er von den eigenen Eltern verstoßen und enterbt, weil er die maßlose Frechheit besaß, eine Griechin – diese »Dahergelaufene mit der großen Nase und dem Flaum auf der Oberlippe« (S.71) – zu heiraten. Von dieser Griechin – der späteren Mutter des Autors – trennte sich Robert wieder, ließ sich aber nie scheiden.

Solche und viele weitere Anekdoten fand Schäfer im Nachlass seines Vaters. Er wühlte sich durch Tagebücher, Fotoalben und Briefe, ging dessen Wege nach und recherchierte umfangreich. Irgendwann begann er, die Geschichte seines Vaters niederzuschreiben und es entstand dieses Buch. DIE SCHUHE MEINES VATERS ist der würdevolle Ausklang einer ambivalenten Beziehung, in der Liebe und Hass, Stolz und Scham stets gemeinsam auftraten. Ein ergreifender Roman – sprachlich versiert und mit großer emotionaler Tiefe.


DIE SCHUHE MEINES VATERS erschien im DuMont Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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