Norbert Scheuer | WINTERBIENEN

D 2019 | 319 Seiten
C.H.Beck
ISBN: 978-3-406-73963-7

Ich wohne in einem Bergarbeiterstädtchen, das an einem Fluss liegt, der sich durch einsame, zerklüftete Landschaften schlängelt, eine Gegend mit kleinen Dörfern inmitten von Magerwiesen, Fichten-, Kiefern- und Buchenwäldern, die sich bis zur belgischen Grenze erstrecken. (Seite 9)

Egidius Arimond heißt der Ich-Erzähler, dem wir dank seiner Tagebucheintragungen durch die letzten Kriegsmonate folgen. Der ehemalige Lehrer muss wegen einer Epilepsieerkrankung nicht an die Front und kann sich daheim in der Nordeifel um seine Bienenzucht kümmern. Dem Nazi-Regime steht er skeptisch gegenüber, hält sich aus Selbstschutz aber bedeckt, denn wenn man ihm auf den Zahn fühlen würde, sähe es schlecht aus um ihn: Er verhilft jüdischen Flüchtlingen in speziell präparierten Bienenstöcken über die belgische Grenze. Das tut er aber nicht aus bloßer Nächstenliebe oder heroischem Widerstandsgeist, sondern schlicht und einfach wegen des Geldes, mit dem er seine Epilepsie-Medikamente finanziert.

Ein ziemlich eigennütziger Hauptheld, den uns Norbert Scheuer (*1951) in seinem neuem Roman vorsetzt; die Sympathie bleibt da weitestgehend auf der Strecke. Auch der Umgang mit Frauen ist alles andere als charmant. In seinem Heimatstädtchen fängt er mit jeder etwas an, deren Mann an der Front ist, selbst mit Charlotte, der Gattin eines ranghohen Offiziers. Zu allem Egoismus kommt also noch der gefährliche Drang nach dem Spiel mit dem Feuer.

Doch als die Machtverhältnisse sich wandeln und die Allierten immer weiter nach Deutschland vorrücken, zieht auch Scheuer die Daumenschrauben an und lässt Arimond ordentlich leiden. Die Eifel wird zum Kriegsschauplatz, Bombenangriffe aus der Luft gehören zur Tagesordnung und die zerstörte Stadt wird zum Lazarett umfunktioniert. Es wird immer schwieriger, die Flüchtlinge außer Landes zu schaffen und an die Medikamente zu kommen, ist nahezu aussichtslos. Arimond erleidet einen Anfall nach dem anderen, sein Erinnerungsvermögen nimmt rasant ab und die permanente Angst sich zu verraten, mündet in einer ausgewachsenen Paranoia.


Trotz des unsympathischen Arimond gelingt Scheuer besonders im letzten Drittel – nach einem doch recht trägen Anfang – ein beklemmendes und reales Abbild des Krieges, bei dem wir den Helden schließlich doch noch ins Herz schließen können. In der Danksagung berichtet Scheuer, dass ein Bekannter ihm die Notizen Arimonds überreicht hätte, dass es sich also um wahre Begegenheiten handelt. Das ist nun wahrlich schwer zu überprüfen, dennoch gibt diese Information dem Buch eine spezielle Note und zusätzliches Gewicht.

In den Tagebuchnotizen war mir persönlich etwas viel Imker-Fachchinesisch, das ich irgendwann nur noch überflogen habe. Auch die Entscheidung, die Eintragungen nach den heutigen Rechtschreibregeln zu veröffentlichen, störte meinen Lesefluss; hier wäre die alte Rechtschreibung die authentischere gewesen. Aber das sind Kleinigkeiten, die meine Einschätzung nicht schmälern sollen – ein äußerst lesenswertes Buch.


getimageWINTERBIENEN erschien beim Verlag C.H.Beck, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr auf der Verlagsseite. Auch Marina von literaturleuchtet war begeistert; hier geht’s zu ihrer Besprechung.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

6 Gedanken zu “Norbert Scheuer | WINTERBIENEN

  1. Ich finde dieses Buch extrem interessant. Tippe gerade auch meine Rezension. Ich fand den Protagonisten auch ziemlich denkwürdig. Ob es an dieser Krankheit lag, dass er allem außer seinen Bienen gegenüber so gefühllos war? Mich haben allerdings gerade die Bienen-Berichte sehr interessiert. Alles in allem, finde ich das Buch ziemlich vielschichtig. Werde bestimmt noch etwas anderes von Scheuer lesen.
    Viele Grüße gen Norden!

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