Andrej Murašov | ALLES GOLD

D 2022 | 336 Seiten
Katapult Verlag
ISBN: 978-3-948923-45-7

Schmutzig graue Wolken hingen tief am Himmel, doch es regnete nicht.

(Seite 11)

Hatte ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich mit Hip Hop nichts anfangen kann? Diese immergleichen Rhythmen langweilen mich, dieses ganze Gequassel nervt, ich achte sowieso kaum auf Lyrics. Wenn so ein Track beginnt und jemand murmelt Aha und Yeah, dann bin ich schon raus, weil ich weiß, dass sich der Beat die nächsten vier Minuten nicht ändern wird und gefühlt fünftausend Wörter auf mich einprasseln werden, von denen ich so gut wie nichts verstehe. Auch wenn’s auf Deutsch ist – es interessiert mich einfach nicht. Anders verhält es sich jedoch bei Geschichten über Hip Hop. Was sind das für Leute? Was treibt sie an? Da bin ich sofort dabei. Andrej Murašov geht in seinem Debütroman ALLES GOLD genau solchen Fragen nach.

Mitte der Nullerjahre ist in Bielefeld nicht viel los. Die Kulturszene liegt relativ brach und in den Randbezirken sammeln sich Migrantenfamilien aus den verschiedensten Ecken der Welt zu einem Multikulti-Schmelztiegel. Hier wächst Artur auf, dessen Eltern gerade auf einen Ehekrieg zusteuern. Er träumt beim Skaten davon, als Hip-Hop-Star auf der Bühne zu stehen und sich seinen Frust von der Seele zu rappen. Sein Freund Kazim erkennt das Talent und schnell ist eine Band gegründet, doch eine richtige Karriere lässt sich in der oswestfälischen Provinz nicht so gut starten wie im pulsierendem Berlin. Also: Straight outta Bielefeld!

Davon mal ganz abgesehen geht in Arturs Leben gerade alles drunter und drüber … wie es sich für einen Teenager gehört. Wo bekommt man den nächsten Joint her, ohne dass die Bullen das mitbekommen? Die haben die Migranten sowieso schon auf dem Kicker. Was wird aus Arturs Eltern? Und wie nennt man das, was er gerade mit Nejla am Laufen hat? Das alles unter einen Hut zu kriegen, ist wohl das, was man Jugend nennt…


ALLES GOLD ist ein kurzweiliger Roman über Freundschaft, Musik und die holprigen Jahre des Suchens und Findens, den ich mit großer Freude gelesen habe. Dankenswerterweise legt Murašov den Fokus nicht so sehr auf die Musik. Er beschreibt zwar, wie der eine oder andere Song entsteht, und ein paar Textzeilen sind auch dabei, aber vordergründig geht es um die Figuren, ihre Schicksale und Familienverhältnisse und genau hier macht der Autor vieles richtig. Die Charaktere – allen voran Nejla und Artur – sind vielschichtig angelegt, haben nicht nur gute oder nur schlechte Eigenschaften und belegen somit keine Klischees. Sie hängen ihren Träumen nach und verlieren sie auch wieder aus dem Blick, sie zweifeln, wissen manchmal nicht weiter und agieren dann unlogisch – genauso, wie es Jugendliche nun mal so machen. Das wirkt alles sehr echt, sehr authentisch. Murašov war zu der erzählten Zeit selbst erst Anfang zwanzig – er scheint zu wissen, wovon er schreibt.

Gelungen ist auch die Mixtur der verschiedenen Kulturkreise. Ein Junge mit russischen Eltern hat andere Gedanken und Probleme als ein Mädchen, das als Kleinkind aus Bosnien flüchten musste; die strengen Regeln jesidischer Familien sind für andere nur schwer nachzuvollziehen. Murašov hält auch hier eine gesunde Distanz und macht die kulturellen Unterschiede nicht zum Hauptthema seines Romans, bringt sie nur ab und zu auf. Stattdessen lässt er seine differentes Ensemble gemeinsam etwas erschaffen – Was gibt es Schöneres?


ALLES GOLD erschien im Katapult-Verlag, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Das Buch ist illustriert mit Bildern von Malik Heilmann. Die Platte ALLES GOLD der (fiktiven?) Band AK602 aus dem Buch gibt es bei Spotify zu hören. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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