Máirtín Ó Cadhain | DIE ASCHE DES TAGES

IRL 1970 | 156 Seiten
OT: »Fuíoll Fuine«
Übersetzt von Gabriele Haefs
Alfred Kröner Verlag
ISBN: 978-3-520-60301-2

Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine fiese Stimme.

(Seite 7)

Pro·kras·ti·na·ti·on – [ˌpʁokʁastinaˈt͡si̯oːn]:
das Verhalten, unangenehme, jedoch notwendige
Arbeiten und Entscheidungen aufzuschieben

Das kennen wir doch alle irgendwie; da braucht sich hier keiner rausreden. Ist ja auch gar nicht so wild, wenn man ungeliebte Aufgaben vertagt. Schon Mark Twain sagte einst: »Verschiebe nicht auf morgen, was genauso gut auf übermorgen verschoben werden kann.« Schwierig wird es nur, wenn aus harmloser Trödelei ein pathologisches Aufschieben wird, das zu Ängsten und Schuldgefühlen führen kann.

Der irische Autor Máirtín Ó Cadhain (1906-1970) hat in seinem letzten Roman DIE ASCHE DES TAGES die Hauptfigur N. mit einer äußerst schweren Aufgabe betraut: Er muss seine Frau bestatten. Die liegt seit gestern tot zuhause rum und muss dringend aufgebahrt und unter die Erde gebracht werden. Doch anstatt die Beerdigung zu organisieren, irrt N. durch die Straßen, trinkt jede Menge Whiskey, wird beklaut und verliert sein letztes Geld beim Pferderennen. Das alles tut er nicht etwa, weil ihn der Tod seiner Frau nicht interessiert, sondern weil er Angst davor hat, nach Hause zu kommen, sich der Aufgabe zu stellen und sich mit den ungeliebten Schwägerinnen auseinanderzusetzen, die sich wahrscheinlich schon die Mäuler über ihn zerreißen. Es ist so viel leichter, sich zu besaufen und die Nacht bei einer anderen Frau – mit dem verheißungsvollen Spitznamen Knutschi – zu verbringen. Am Ende lockt sogar ein Schiff im Hafen mit der Flucht aus dem Land. Doch nichts erlöst N. von seiner Pflicht. Der Druck wächst und wächst, und niemand wird ihm seine Last nehmen können.


Was den mit hundertfünfzig Seiten recht schmalen Roman so lesenswert macht, ist die gesunde Mischung aus rabenschwarzem Humor und bitterer Melancholie. DIE ASCHE DES TAGES ist definitiv kein witziges Buch, auch wenn Ó Cadhain seinen traurigen Helden in viele skurrile Szenen verwickelt und dabei zusieht, wie N. sich so durchschlägt. Der Humor entsteht eher aus Situationskomik gepaart mit Sarkasmus, am ehesten vergleichbar mit der Prosa Charles Bukowskis, dessen Texte ja in erster Linie auch nicht witzig sind – zumindest nicht auf Lacher abzielen – obwohl man beim Lesen permanent am Grinsen ist.

Viel gewichtiger als der Humor ist die Tragik, die Last, an der die Hauptfigur zu schleppen hat. Gleich von der ersten Seite an hat man Mitleid mit dem armen Mann, versteht ihn, sieht ihm seine Schwäche nach. Wie er sich in dieser schweren Stunde verhält, ist unverzeihlich und gegen jeden Anstand, gleichwohl bringt er eine sanfte Saite in uns zum Schwingen, aktiviert irgendeine Art Beschützerinstinkt – man verzeiht ihm. Wenn ein Autor es schafft, solche Gefühle bei seiner Leserschaft auszulösen, hat er alles richtig gemacht.

Máirtín Ó Cadhain – dessen Todestag sich im Oktober zum fünfzigsten Mal jährte – gilt in Irland als Kultautor und war einer der wenigen, die ihr komplettes Werk in irisch-gälischer Sprache verfasst haben. Dem Alfred Kröner Verlag aus Stuttgart und der Übersetzerin Gabriele Haefs ist es zu verdanken, dass das deutschsprachige Publikum endlich in den Genuss seiner Bücher kommt. Auch Ó Cadhains bekanntester Roman GRABGEFLÜSTER – das als bedeutendstes Buch in irischer Sprache angesehen wird und in wohl jedem Bücherregal Irlands steht – erschien bereits bei Kröner und liegt schon auf meinem Muss-ich-demnächst-unbedingt-lesen-Stapel … aber nicht mehr lange.


DIE ASCHE DES TAGES erschien – wie schon erwähnt – im Alfred Kröner Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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