Christoph Nußbaumeder | DIE UNVERHOFFTEN

D 2020 | 671 Seiten
Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-42962-4

Nicht einmal die Erde selbst kann sich daran erinnern, wie vor ewigen Zeiten feiner Sand und Ton in ein Urmeer schwappten und sich dort absetzten.

(Seite 7)

Das kleine Städtchen Eisenstein im Bayerischen Wald ist Haupthandlungsort des groß angelegten, hundertzwanzig Jahre umspannenden Romans DIE UNVERHOFFTEN von Christoph Nußbaumeder (*1978). Vor ziemlich genau zehn Jahren wurde sein Theaterstück EISENSTEIN im Schauspielhaus Bochum auf die Bühne gebracht, das im Nachgang als Grundgerüst für diesen Roman diente. Darin stehen Albert und Nikola am Grab von Alberts Mutter Gerlinde, eine der großen Figuren im komplexen Ensemble.

Gerlinde ist Spross der Hufnagels, einer reichen Unternehmerdynastie, die sich über Jahrzehnte hinweg – mit nicht immer moralisch einwandfreien Mitteln – zum bavarian big player entwickelt hat. Wo vor hundert Jahren noch Glas geblasen und später dann Holz gesägt wurde, sind es heute Immobilieninvestments, die der Familie das Geld in die Taschen spült. Doch das Schicksal der Hufnagels ist eng verbunden mit dem der Schatzschneiders – eine lange Reihe voller Intrigen und Verrat, die die beiden Familien aneinanderkettet.


Vieles an diesem Debütroman kann ohne Zweifel als gelungen bezeichnen werden. Der Aufbau, die chronologische Struktur und wichtige Rückblenden sind sauber eingesetzt. Die Figuren sind allesamt vielschichtig angelegt, haben Fehler, Zweifel, helle und dunkle Seiten. Hier schöpft Nußbaumeder aus seiner Erfahrung als Dramatiker, das ist deutlich zu spüren. Auch das Setting ist gut dargestellt, denn obwohl ich das Gebiet im Bayerischen Wald direkt an der Grenze zu Tschechien kaum kenne, fühlte ich mich beim Lesen keineswegs fremd. Nußbaumeder hält sich dabei mit dem Lokalkolorit zurück – bis auf ein paar Begriffe, mit denen ich als Norddeutscher nicht viel anfangen konnte, ist alles gut verständlich –, das macht die Geschichte universeller, so dass sie eigentlich auch woanders hätte spielen können.

Eigentlich gibt es kaum etwas auszusetzen. Aber warum tat ich mich beim Lesen dieses doch recht dicken Buches trotzdem so schwer? Ich habe das Buch schon vor fünf Tagen beendet und finde einfach keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage. Vielleicht liegt es am Thema, denn die eigentliche Hauptfigur – neben all den Familiendramen – ist das liebe Geld. Es geht um wirtschaftlichen Erfolg, um die Herrschaft der Arbeitgeber über die Arbeitnehmer, die Reichen kriegen alles, die Armen kriegen nichts, und nur wenn man ordentlich schafft, wird man reich und glücklich. Und selbst wenn sich das Blatt mal wendet, und die Armen etwas Höhenluft schnuppern, streben auch sie nur nach Geld, was sie nicht besser macht. Der permanente Unterton dieses Romans ist ein pro-kapitalistischer – und das ist eine irgendwie seltsame Moral.

Als ich mich daran zu stören begann – das war leider bereits nach dem ersten Drittel … aber ein völlig veralteter Ehrenkodex verbietet mir das Abbrechen unliebsamer Lektüren –, fand ich den Roman mit jedem Kapitel reizloser. Das ewige Wirtschaftsgeschwafel ging mir gehörig auf die Nerven und auch die zum Teil belanglosen Familienstreitigkeiten interessierten mich kaum noch. Hinzu kam der einfallslose Schreibstil Nußbaumeders, für den er hier und da ruhig etwas tiefer in die Trickkiste hätte greifen können. Alles liest sich von Anfang bis Ende in einem einzigen schlappen Tonfall, der zu Beginn der Geschichte vielleicht noch passend erscheint, sich aber bis ins 21. Jahrhundert kaum ändert und dort seltsam deplatziert wirkt. »Und dann immer wieder diese Unart, wörtliche Rede an den«, sagte der Bookster und fasste sich an den Kopf, »unmöglichsten Stellen zu unterbrechen…«

DIE UNVERHOFFTEN von der Bühne zwischen zwei Buchdeckel zu holen, war zweifelsfrei ein ambitionertes Vorhaben, das muss man dem Autor anerkennen. Allerdings ist es mit einer großen Geschichte allein nicht getan.


DIE UNVERHOFFTEN erschien im Suhrkamp Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt Ihr zur Verlagseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet. Das Theaterstück EISENSTEIN ist ebenfalls bei Suhrkamp in der Reihe Spectaculum erschienen.
Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

2 Gedanken zu “Christoph Nußbaumeder | DIE UNVERHOFFTEN

  1. Ich teile in vielen Punkten Deine Meinung. Bin auch schon seit einer Woche durch mit dem Schinken und hab noch keine klare Meinung dazu gefunden. Nicht schlecht, aber auch nicht gut – das trifft es wohl am Ehesten.

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    • Ich habe mich auch sehr schwer getan mit der Rezension. So richtig konnte ich meine Gedanken nicht fassen. Schwieriges Buch: Eigentlich eine gute Geschichte, aber zu viele Schwachpunkte.
      LG aus Rostock!
      ps: …und danke für Deine Anfeuerung beim Bubla! Hab sie gelesen, konnte aber nicht so schnell reagieren. Tino hat’s auch verdient; ist großartig, was er so macht. Aber ganz ehrlich: Der Blogbuster-Preis war mir dieses Jahr sehr viel wichtiger.

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