Colson Whitehead | APEX

USA 2006 | 191 Seiten
OT: »Apex Hides the Hurt«
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Hanser
ISBN: 978-3-446-20870-4

Er lieferte die Namen. (Seite 7)

Vor ein paar Wochen bekam Colson Whitehead zum zweiten Mal den Pulitzer Prize for Fiction, nach seinem Welterfolg UNDERGROUND RAILROAD diesmal für DIE NICKEL BOYS. Diese doppelte Ehrung wurde in der über hundertjährigen Geschichte des renommierten Preises nur sehr wenige Autoren zuteil, unter anderem Größen wie William Faulkner und John Updike. Somit ist Whitehead innerhalb weniger Jahre zu einem der angesehensten Schriftstellern der amerikanischen Literatur geworden. Zeit für mich, mal ein wenig in seinem Frühwerk zu graben. Ein Titel, der schon seit langem in meinem Bücherregal schmort und auf Erlösung wartet, ist APEX, Whiteheads dritter Roman von 2006…


Woher kommen eigentlich all die prägnanten Namen der unzähligen Produkte unseres Alltags? Manche Namen sind dermaßen einprägsam, dass sie im Volksmund zu Gattungsbegriffen werden, die ähnliche Produkte gleich mitbenennen, wie etwa bei der oft panisch gebrüllten, fast hingerotzten Aufforderung: »Schnell, schnell, schnell, gib mir mal ein Tempo!!!« Kommen solche Namen aus dem Nichts? Natürlich nicht. In unserer kapitalistisch durchgestylten, auf wirtschaftlichen Gewinn ausgelegten Welt gibt es für solche Namensgebungen Spezialisten, die für den finanziellen Erfolg eines Produktes einen nicht unerheblichen Beitrag leisten. Einer von ihnen ist der Protagonist in APEX. Dass sein Name im Buch nicht genannt wird, ist übrigens nur einer der vielen ironischen Spielereien Whiteheads.

Dieser Mann ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Namensgebung, der Beste seiner Zunft in ganz Amerika. Sein größter Erfolg war das Wundpflaster Apex – erhältlich in allen Hautfarben –, das nach seiner Taufe in kürzester Zeit in den Wundpflaster-Olymp aufstieg. Jedes Kind im Land denkt sofort an Apex, wenn das Knie mal wieder blutet; jeder Handwerker schreit fluchend nach einem Apex, wenn der Hammer den Daumen in ein Säckchen Brei verwandelt hat – denn »Apex zaubert Wunden weg«. Nun bekommt der Held des Romans den Auftrag, das kleine, verschlafene Mid-West-Städtchen Winthrop umzubenennen, damit es mondäner klingt und Firmen anlockt, auf dass somit die Wirtschaft angekurbelt werde. Dort angekommen findet sich der Namen-Guru in einem Kleinkrieg wieder, ausgefochten von verschieden Interessengruppen – zum Teil bestehend aus den Nachfahren der Stadtgründer –, die alle ihre eigenen Vorstellungen eines neuen Namens haben und den armen Täufer ordentlich unter Druck setzen.


Um es gleich vorwegzunehmen: APEX ist ein großer Spaß voller ironischer Seitenhiebe auf die amerikanische Gesellschaft in ihrem geldgierigen Dasein. Angefangen vom Namensgott himself bis in die kleinste Nebenfigur, ist die Geschichte mit grandios schrulligen Charakteren angefüllt. Selbst der gruselige Barkeeper oder das penetrante Zimmermädchen sind so gut geschrieben, dass ihre seltenen Auftritte auch nach der Lektüre noch haften bleiben. Sehr interessant ist Whiteheads Umgang mit Metaphern und Motiven, die er in seinen Romanen von Anfang bis Ende durchdekliniert. Was bei UNDERGROUND RAILROAD die Eisenbahnlinie unter der Erde war – die es so natürlich nicht gab –, ist bei APEX das Apex.

Denn ironischerweise haut sich die Hauptfigur irgendwann den Zeh mit einem unbedachten Schritt schmerzhaft zu Muß. Er klebt eines seiner Erfolgspflaster auf die Schweinerei und es ist tatsächlich nichts mehr zu sehen, und so lebt er sein Leben weiter, während es unter dem Pflaster furchtbar eitert und gammelt – eine wunderbare Metapher für das Aufschieben von Problemen, von denen der Mann so einige hat. Whitehead zeigt also ein sauberes Gespür für satirische Komik, und gießt das alles auch noch in formvollendete Sätze – kein Wunder also, dass er schon vor dem internationalen Durchbruch als kommender Superstar gefeiert wurde. Von mir gibt es für APEX eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die den Colson Whitehead vor seinem Weltruhm entdecken wollen.


978-3-446-20870-4

APEX erschien als Hardcover im Hanser Verlag. Bei Fischer ist mittlerweiler eine Taschenbuchausgabe erhältlich. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt Ihr zur Verlagseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

3 Gedanken zu “Colson Whitehead | APEX

  1. Da wird mir gerade bewusst, wann ich das erste Mal Whitehead gelesen habe: 2006. „Apex“ liegt also schon eine ganze Weile zurück. Dank Deiner Besprechung konnte ich mich jetzt wieder an dieses wunderbare Buch erinnern. Danke dafür! Mein nächster Roman von ihm war dann der untypisch literarische Zombie-Roman „Zone One“. Natürlich sind die beiden letzten Romane mit ihren historischen Hintergründen herausragend, aber der gute Erzähler ist in seinen frühen Werken bereits zu geniessen.

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    • Mir war Whitehead erst durch UNDERGROUND RAILROAD aufgefallen. ZONE ONE liegt bei mir aber auch schon bereit. Ist ja – wenn auch auf eine schräge Art – der Roman zur Stunde, wenn man sich mal die Zustände in NYC ansieht.
      Beste Grüße!

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  2. „Ist ja – wenn auch auf eine schräge Art – der Roman zur Stunde, wenn man sich mal die Zustände in NYC ansieht.“ -Das hatte ich vorhin auch gedacht, aber mich nicht getraut zu schreiben 😉 Grüße in den Norden!

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