LBM19-Tagebuch | Messedonnerstag

Eigentlich habe ich den Wecker auf 8°° Uhr gestellt, aber die Fenster haben kein Rollo, also werde ich mit der Sonne wach. Soll ja gesund sein, fühlt sich aber gerade nicht so an. Eine Dusche und einen Kaffee später bin ich wieder fit. Ich mag nicht lange rumsitzen, deswegen nehme ich die S-Bahn zur Messe viel früher als geplant. Die Bahn ab Connewitz ist angenehm leer, aber beim Hauptbahnhof brechen Massen herein wie die Heuschrecken einst über Ägypten. Wie gut, dass ich schon sitze. Der Tipp mit der S-Bahn war aber super, denn keine zwanzig Minuten später stehe ich vor den Messehallen. Mit der Tram hätte ich doppelt so lange gebraucht und sicher einige Rippenprellungen davongetragen. (Ich habe die Linie 16 an mir vorbeifahren sehen – alter Schwede, die armen Leute…)

Nach der Akkreditierung meines Presseausweises erhält meine Euphorie, die sich mit jedem Meter zur Messe hin gesteigert hat, einen Dämpfer: Presseleute können erst ab 10°° Uhr das Messegelände betreten, nur Aussteller dürfen schon vorher rein. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass das noch fast eine Stunde hin ist. Die Schlange vor dem Presseeingang ist schon recht lang und alle regen sich tierisch auf. Es wird geflucht, gedroht und wild gestikulierend telefoniert. Die Damen am Einlass sind sichtlich überfordert, knicken nach zehn Minuten erschöpft ein und lassen ein Fernsehteam durch. Ich mogel mich dazwischen und bin drin. Die Hallen selbst sind aber noch geschlossen. Vom Presseeingang kommt man als erstes zur Halle 1, in der die Comic-Con stattfindet. Dutzende Spidermans, Pikachus und Fernost-Prinzessinnen belagern den Bereich vor den Toren. Fehlen nur die Zelte und Lagerfeuer. Ich eier im Zickzack durch die ganzen Pokemons, bekomme eine riesige Pappaxt an den Schädel und rette mich in die zentrale Glashalle, in der es mindestens zehn Grad wärmer ist. Dahinter ist ein kleiner Teich angelegt, an dem diese einladenden geschwungenen Liegebänke stehen. Ich schnapp mir eine und vertrödel die Zeit bis zur Eröffnung.

Richtige Termine habe ich heute nicht, die kommen morgen; ich möchte einfach nur ein bisschen rumschlendern. Ich schaue bei vielen Verlagsständen vorbei, blättere in den Programmheften und ausgestellten Büchern, und höre hier und da bei Lesungen rein. Anselm Oelze mit WALLACE habe ich mir notiert, Gregor Hens mit MISSOURI, Helene Bukowski mit MILCHZÄHNE und andere. Wieder viel zu viel; wann soll ich das alles lesen?

Zwei-, dreimal kehre ich in der Bloggerlounge ein und vergreife mich ungeniert am Gratis-Kaffee. Dort treffe ich Ines von letteratura. Wir wandern ein wenig durch die Hallen, stoßen auf Romy (Travel Without Moving) und Petra (LiteraturReich) und wandern weiter bis die Füße qualmen. Liebe Grüße an dieser Stelle! Besonders gefreut hat mich ein Wiedersehen mit der wunderbaren Barbara Handke, die mir mit offenkundigem Stolz ihr neues Buch überreicht – diesmal mit Verlag! SOMMERGÄSTE heißt es, ganz frisch aus der Druckerei. Vielen Dank nochmals! Wir verquatschen die Zeit bei einem Kaffee (meinem sechsten oder siebten heute; ich habe aufgehört zu zählen) und ich verpasse die Verleihung des Leipziger Buchpreises. Egal, wer gewonnen hat, krieg ich schon noch raus. (Anke Stelling mit SCHÄFCHEN IM TROCKENEN, erfahre ich gerade. Schonmal gehört, kommt auf die Liste. Ich war für Matthias Nawrat; ich kenne DER TRAURIGE GAST zwar noch nicht, aber er hat vor ein paar Jahren mal in Rostock gelesen und ich fand ihn sehr sympathisch.)

Zurück nach Connewitz – leichter gesagt als getan. Der Messetag neigt sich dem Ende zu und die Massen strömen in Richtung Nahverkehr. Ich nehme die brechend volle S-Bahn-Linie 5X, bin mir am Hauptbahnhof aber nicht mehr sicher, ob die nach Connewitz weiter fährt; auf der Anzeige steht nur Richtung Altenburg – weiß der Geier, wo das liegt. Ich steige mit den Massen aus, lasse alle an mir vorbeiströmen, fasse neuen Mut und steige wieder ein. Altenburg? What? Ich steige wieder aus und lasse die Bahn fahren. Auf dem Plan sehe ich dann: Jepp, 5X wäre richtig gewesen. Grmpff! Aber die nächste fährt in einer Viertelstunde, das geht ja noch. Zwischendurch kommen noch zwei andere Linien von der Messe und spucken jeweils anderthalb Millionen Menschen aus. Ich halte mich am Fahrplanschaukasten fest, um nicht Richtung Ausgang fortgespült zu werden. Was für ein Wahnsinn!

Mit tauben Füßen erreiche mein Zimmer in Connewitz. Es fühlt sich an, als liefe ich auf Stümpfen; ein Wunder, dass die Schuhe noch nicht abgefallen sind. Kurze Genesungszeit, etwas frisch machen, noch ein Kaffee (Boah, ich muss aufhören damit!), dann geht’s zurück in die Stadt, aber davon morgen mehr…

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6 Gedanken zu “LBM19-Tagebuch | Messedonnerstag

  1. Lieber Stefan, schön, dein Messetagebuch! Ich habe dieses Mal weder einen Laptop dabei gehabt, noch die nötige Zeit und Energie für ausreichende Fotos. Analoges Messe-Genießen muss das wohl gewesen sein… Nach einem drangehängten Familienwochenende bei meinen Eltern bin ich immer noch ziemlich platt und randvoll mit tollen Eindrücken und Erinnerungen. Es war schön, dich mal wieder getroffen zu haben. Ich bin ja alter Frankfurt-Fan (finde die Messe viel weniger hektisch als Leipzig, wenn auch, zugegeben, nicht so schön) und würde dich gerne von einem erneuten Besuch überzeugen. Ansonsten: bis zum nächsten Jahr und viele liebe Grüße!

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