Stephan Thome | GOTT DER BARBAREN

D 2018 | 720 Seiten
Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-42825-2

Als ich noch eine Frau und zwei Hände hatte, war ich ein glücklicher Mann. (Seite 11)

Um 1860 lag das Chinesische Kaiserreich in Schutt und Asche. Jahrelange Auseinandersetzungen mit Großbritannien und Frankreich hatten China an den politischen und wirtschaftlichen Rand gedrängt. Hinzu kam eine inländische Revolution christlicher Rebellen, die mit dem Taiping-Aufstand den Kaiser stürzen wollten. Diese ganze Reihe herber Schläge, die das Reich der Mitte einstecken musste, kostete zig Millionen Menschen das Leben und ging als Zweiter Opiumkrieg in die Geschichte ein – Thema des neuen und lang erwarteten Romans von Stephan Thome.

Vier Menschen sind es, denen wir Leser in GOTT DER BARBAREN durch die wirre Kriegszeit hauptsächlich folgen. Da sind zum einen die Europäer Philipp Johann Neukamp, ein deutscher Missionar, sprachbegabt und von anderen Kulturen fasziniert, und Lord Elgin, Sonderbotschafter der britischen Krone, der die am Boden liegenden chinesischen Machthaber in die wirtschaftliche Abhängigkeit führen soll. Auf der anderen Seite Zeng Guofan, Oberbefehlshaber der Hunan Armee, die dem Kaiser verpflichtet ist, und Hong Xiuquan, der sich nach intensiver Bibelschule für den zweiten Sohn des christlichen Gottes hält, und den Aufstand von Taiping anführt.

Auf über siebenhundert Seiten führt uns Stephan Thome (*1972) mit sicherer Hand durch das komplexe Geschehen. Thome, der neben Philosophie auch Sinologie studiert hat, derweil in Taipeh lebt und fließend chinesisch spricht, kennt sich aus mit der Materie, das ist unumstritten. Auch ein enormer Rechercheaufwand ist ihm zuzutrauen und die Fähigkeit, in all dem Gewirr aus Handlungssträngen die Übersicht zu behalten. Auf alle Fälle wirkt der Roman äußerst glaubhaft und realistisch. Sehr interessant und eine ganz große Stärke des Buches ist, dass Thome sich nicht mit einem schlichten Historiendrama zufrieden gibt und einfach den Krieg Schlacht für Schlacht herunterschreibt, sondern tief in seine Figuren blickt, ohne Stellung zu beziehen.

Damit charakterisiert er zugleich die beteiligten Völker, die trotz aller Unterschiede – die Chinesen sind in sich gekehrt, vertrauen auf Ruhe und Geist und sind eher mit ihrer Vergangenheit verbunden; die Engländer dagegen schreiten geradlinig und ohne Umschweife zur Tat und sind Fortschritt und Zukunft zugewandt – auch vieles gemeinsam haben, zuvorderst das Überlegenheitsgefühl dem jeweils anderen gegenüber. Besonders deutlich wird das bei den Szenen, in denen beide Seiten im Dialog stehen – ganz großes Kino!

Und wie es sich für einen Philosophen gehört, bleibt Thome auch beim eigentlichen Thema nicht an der Oberfläche, gräbt sich im Laufe des Romans immer weiter der Frage entgegen, was Krieg eigentlich ist und entblättert nach und nach sein inneres Wesen. Hierfür lässt er seine Figuren sprechen und gibt ihnen genügend Raum, der Sache auf den Grund zu gehen.

Jeder Krieg endete mit einem Vertrag, der den nächsten Kriegsgrund enthielt. (S. 476)

Leider kann Thome trotz seiner schriftstellerischen Fertigkeiten die Spannung über so viele Seiten nicht halten. All die Schlachten, das ganze Philosophieren und die schiere Menge an Charakteren und Handlungen lassen den Roman gerade im letzten Drittel einfach zu überladen wirken. Ich habe Hochachtung vor Thomes Schreibkunst und halte ihn für einen der besten Schriftsteller seiner Generation, hier aber hat er sich am Ende doch etwas verhoben. (Dennoch ein würdiger Buchpreis-Kandidat, ich wünsche viel Erfolg!)


42825.jpgGOTT DER BARBAREN erschien im Suhrkamp Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke; alle weiteren Informationen findet Ihr hier. Weitere Besprechungen findet Ihr bei letteratura, LiteraturReich und Frau Lehmann Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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