James Leo Herlihy | MIDNIGHT COWBOY

USA 1965 | 315 Seiten
OT: Midnight Cowboy
Aus dem Amerikanischen von Daniel Schreiber
Blumenbar
ISBN: 978-3-351-05048-1

In seinen Stiefeln war Joe Buck eins fünfundachtzig groß und die Welt sah anders aus. (Seite 7)

Joe Buck ist Ende zwanzig und verdient sich als Tellerwäscher in Houston sein Brot, fühlt sich aber zu Höherem bestimmt. Er sieht hervorragend aus, sein Cowboy-Outfit passt perfekt und mit seinem Lächeln bekommt er jede Lady um den Finger gewickelt – zumindest ist es das, was er täglich stundenlang im Spiegel sieht. Irgendwann hängt er den Job im Restaurant an den Nagel und reist mit dem Greyhoundbus nach New York City. Denn an der Ostküste, so heißt es in Texas, sind alle Männer Idioten und die Frauen permanent unbefriedigt. Als Gigolo könnte Joe dort reich werden.

Doch die bittere Wahrheit ist: In New York sind Cowboys total out – wenn sie überhaupt je in waren – und Joe ist nicht nur eingebildet, sondern auch furchtbar dumm und naiv. In kürzester Zeit verliert er sein Geld, gerät an Gauner und wird selbst zum Opfer. Anstatt als Gigolo die reichen Frauen zu verführen, endet er als Stricher in den letzten Gassen. Irgendwann lernt er den Kleinkriminellen Rico Rizzo kennen, ein missgestalteter Zwerg, der zwar kaum laufen kann, dieses Handicap aber mit einem blitzgescheiten Verstand ausgleicht. Die beiden schließen sich zusammen und schnell findet sich ein gemeinsames Ziel: Raus aus New York City, dieser Scheißstadt voller Dreck und Abschaum, runter nach Miami in die ewige Sonne.


Ich gebe zu: Ich hatte den Namen Herlihy vor der Verlagsankündigung noch nie gehört, den Titel MIDNIGHT COWBOY dagegen schon. Ein typisches Beispiel für eine erfolgreiche Verfilmung eines – zumindest im deutschsprachigen Raum – sehr viel erfolgloseren Buches, vergleichbar vielleicht mit FORREST GUMP oder FIGHT CLUB. Bei Herlihy war es sogar so, dass er im Schatten der Verfilmung regelrecht in Vergessenheit geriet. Dabei ist es ein so wunderbares Buch, ein Roman, der das Attribut american classic mehr als verdient.

James Leo Herlihy (1927-1993) hat mit Joe Buck und Rico Rizzo ein Pärchen in die Literaturwelt geschrieben, das mich stark an George und Lennie erinnert, die beiden armen Seelen aus John Steinbecks VON MÄUSEN UND MENSCHEN. Diese Sehnsucht nach mehr, dieses Kämpfen um den american dream, gegen alle Widrigkeiten, ohne aufzugeben, obwohl sonnenklar ist, dass alle Bemühungen scheitern werden, scheitern müssen – das ist großartige Amerikanische Literatur.

Auffällig ist auch das Spiel des Autors mit den Konventionen der damaligen Zeit. Sicher waren die Sechziger ein Jahrzehnt der Befreiung und der Revolte, aber die vielen homoerotischen Anspielungen in MIDNICHT COWBOY reichten auch damals aus, das Buch zu einem Skandalroman zu machen. Passend dazu wurde auch der Film als jugendgefährdend eingestuft – ganz so aufgeklärt war Hollywood in diesen Jahren also noch nicht.

Die wahre Stärke des Romans liegt aber in der Beschreibung der Charaktere. Joe und Rico sind so voller Fehler und Schwächen, sind in all ihrer Überheblichkeit so verdammt einsam, dass es einem beim Lesen an die Leber geht. Und spätestens beim bitteren Ende hat man die beiden so sehr ins Herz geschlossen, dass man kaum noch weiterlesen möchte, weil man ahnt, was kommt. Das ist Figurenzeichnung at it’s best. Ein großartiger Roman, der lange nachwirkt.


9783351050481Dem Blumenbar-Verlag ist es zu verdanken, dass dieses Werk dem deutschsprachigen Publikum wieder zugänglich ist. Die Neuübersetzung besorgte Daniel Schreiber, der die Ausgabe mit einem informativen Nachwort abrundet. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar. Alle weiteren Informationen über den Roman findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken…

 

 

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