Nino Haratischwili | DIE KATZE UND DER GENERAL

D 2018 | 764 Seiten
Frankfurter Verlagsanstalt
ISBN: 978-3-627-00254-1

Sie sah in den Himmel. Durch die dichte Wolkendecke erkannte sie einen schmerzlich grellen Kreis. (Seite 9)

Nach ihrem 1.280-Seiten-Epos DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA), mit dem sich Nino Haratischwili (*1983) in die Herzen ihrer Leser schrieb und zum Publikumsliebling avancierte, wurde ihr neuer Roman mit einigem Tamtam angekündigt und von vielen sehnsüchtig erwartet. Obendrauf dann der Platz auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2018, und das noch vor der eigentlichen Veröffentlichung. Ganz schön viele Vorschusslorbeeren, wie ich finde. Doch zunächst: worum geht es…

Alexander Orlow, einer der reichsten und mächtigsten Männer Russlands, engagiert eine junge Schauspielerin, um eine Kriegsschuld zu begleichen, die zwanzig Jahre lang ungesühnt blieb. Mitte der Neunziger wurde er als junger Soldat in Tschetschenien Zeuge und ungewollt Mittäter eines grausamen Verbrechens, bei der Nura, ein unschuldiges Dorfmädchen, während eines aus dem Ruder laufenden Verhörs vergewaltigt und ermordet wurde. Aufgeklärt wurde der Fall nie.

Als Orlow zwei Jahrzehnte später auf einem Plakat das Porträt der aufstrebenden Schauspielerin Sesili – genannt: die Katze – entdeckt, trifft es ihn wie ein Schlag, denn sie ist der armen Nura wie aus dem Gesicht geschnitten, die perfekte Kopie. Die drei Haupttäter, die wahren Mörder Nuras, haben nach ihrer Armeezeit mehr oder weniger erfolgreiche Karrieren hingelegt. Orlow kennt ihre Adressen, dreht mit Katze ein Video und beschwört die Geister der Vergangenheit herauf, denn auch wenn nie jemand zur Rechenschaft gezogen wurde, die Schuld sitzt tief und es ist Zeit, sie zu begleichen.


Starker Plot, ohne Frage. Haratischwili verbindet kaukasische Geschichte mit der heutigen Welt, baut zahlreiche Brücken durch die Zeit und lässt eine Lebensgeschichte nach der anderen auferstehen. Auch der Aufbau des Romans ist gelungen. Die Kapitel, die in der heutigen Zeit spielen, sind im Wechsel aus drei Perspektiven geschrieben: Die Katze, der General (Orlow) und die Krähe, ein deutscher Schriftsteller, der bei der ganzen Nummer als Chronist und Bote eingesetzt wird. (Er hatte mal ein Verhältnis mit Orlows Tochter, um für Recherchen zu einem Buch näher an Orlow heranzukommen. Die Sache flog auf und er zog somit den Zorn des Generals auf sich … aber das ist eine andere Geschichte.)

Ich gebe zu, ich habe mich von all dem Jubel um diesen Roman mitreißen lassen, nachdem ich seit vier Jahren überall lese, wie grandios der Vorgänger sei. Das mag ja auch sein, dennoch kam die Lektüre von DIE KATZE UND DER GENERAL für mich fast einer Zumutung gleich. Ich muss es jetzt einfach so klar schreiben: Das Buch ist furchtbar schlecht geschrieben! Besonders die Kapitel der Katze und der Krähe sind stilistisch stellenweise so mies, dass ich manchmal dachte, ich halte einen Groschenroman in den Händen und keinen Buchpreis-Anwärter. Ganz besonders negativ aufgefallen ist mir die übermäßige Verwendung rhetorischer Fragen, ein Stilmittel, dem ich sowieso nichts abgewinnen kann, das in jedem Text stört und dem man in solch rauen Mengen nur in billigster Unterhaltungsliteratur begegnet.

Konnte man einer Toten etwas schuldig bleiben? Reichte die Schuld über das Leben hinaus? Wem sollte es nutzen, diese Geschichte erneut aufzurollen? (Seite 132)

Das ist nur ein kleines Beispiel. Manchmal sind ganze Absätze mit Fragen gefüllt, sechs, sieben, acht hintereinander – eine Tortur. Hinzu kommen unzählige kleine Unstimmigkeiten in den Launen und Taten der Hauptfiguren – mal sind sie mutig, mal ängstlich, mal panisch, mal ausgelassen – und auch im Text selbst ist nicht alles ganz schlüssig: Ein Würfel zum Beispiel ist nicht viereckig, wie auf Seite 481 behauptet wird. (Überhaupt funktioniert der Zauberwürfel als romanumspannende Metapher nur bedingt oder wurde zumindest nicht konsequent genug in Szene gesetzt.)

Und zu allem Überfluss ist der Roman viel zu sehr in die Länge gezogen. Manche Lebensgeschichten werden auf zwanzig, dreißig Seiten ausgerollt, obwohl sie in der eigentlichen Story kaum eine Rolle spielen. Bestes Beispiel: Katzes Großmutter Sesilia, von der wir Leser nach fünfundzwanzig Seiten wirklich alles wissen, ist allein dazu da, damit Katze weiß, wieviel Geld sie von Orlow für ihre Dienste verlangen muss. Das ist die einzige Aufgabe dieser Figur. Aber wozu müssen wir dann alles über die Oma wissen? Hätte man das nicht auch eleganter hinbekommen? Und nochmal: Wer braucht überhaupt rhetorische Fragen?

Ich wünsche Nino Haratischwili viel Erfolg mit ihrem Roman und bezweifle nicht, dass sie jede Menge Leser findet. Ob es für die Shortlist für den Deutschen Buchpreis reicht, bezweifele ich schon eher. Für mich persönlich führten hier viele kleine Ärgernisse am Ende zu einer großen Enttäuschung. Leider.


vlb_9783627002541_0DIE KATZE UND DER GENERAL ist in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen, der ich für das Rezensionsexemplar danke. Alle weiteren Informationen über den Roman findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken…

16 Gedanken zu “Nino Haratischwili | DIE KATZE UND DER GENERAL

  1. Ich gehöre zu den Menschen, denen der Vorgänger sehr gut gefallen hat, weshalb ich mit Spannung auf den neuen Roman gewartet habe und nach deiner Rezension sehr gespannt bin, wie er auf mich wirkt. Wobei ich schon mal sagen kann, dass ich auch kein Freund von rhetorischen Fragen bin…

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  2. Ich fand Das Achte Leben schrecklich aufgebläht, redundant und die Schoko-Metaphern viel zu süßlich (und ebenfalls penetrant immer wieder aufgerufen). Die Leseprobe hier ließ mich eigentlich hoffen. Die ersten Seiten klangen atmosphärisch-gut, und der breitere Plot könnte das Füllwerk zurückdrängen…
    Deine Einwände allerdings lassen befürchten, dass 700 Seiten auch mich zur Weißglut treiben würden… finde ich doch wenig schlimmer als Füllwerk, rhethorische Fragen spielen allerdings oft in der gleichen Liga.

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  3. Ich habe weder der Vorgänger noch das hier gelesen und werde es jetzt wohl auch nicht. Es gibt so viele Bücher, die sich bei mir noch stapeln – schade. Aber danke auf jeden Fall für deine absolut ehrliche Besprechung. LG

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  4. Ich habe den Vorgänger gelesen und bin in einen Rausch gekommen. War richtig traurig, als ich mich nach der letzten Seite von den Leuten aus dem Buch verabschieden musste. Deshalb habe ich mich sehr auf das neue Buch gefreut. Und im Radio schon einigen Passagen daraus gelauscht. Es kam im Juli bei Am Morgen vorgelesen. Ausschnittsweise.
    Und genau die Passage, die du oben zitierst, diese drei Fragen von Seite 123 kamen beim Zuhören total gut und haben mich berührt. Bin gespannt, ob mich die anderen rhetorischen Fragen (mag ich sonst auch nicht gern) und die Tante Siselia auch so nerven werden. Ich mochte im Radio, wie sie die Dialoge gestaltet hat. Diese Leute, die einderseits total cool und nonchalant sind und dennoch sehr zerbrechlich.

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  5. Habe ich auch noch vor mir und bin sehr gespannt. Das achte Leben habe ich auch noch nicht gelesen und stehe dem Hype ehrlich gesagt auch ein wenig skeptisch gegenüber. Gestern war ich auf der Buchprämiere von Die Katze und der General und die hat mich schon sehr neugierig gemacht. Wie das umgesetzt wird, ist natürlich die andere Frage. Aber deine Kritik macht mich eher noch gespannter. Wir werden sehen, sich durch über 700 Seiten zu quälen, da habe ich auch keine Lust drauf. LG

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