Andreas Maier | DIE UNIVERSITÄT

D 2018 | 144 Seiten
Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-42785-9

Die Universität macht zum ersten Mal Semesterferien, es ist wieder Frühling, und ich packe meinen Rucksack. (Seite 9)

Nach Italien soll es gehen, in die Sonne, ins Land der Zitronen und Orangen, doch irgendeine Kraft zieht ihn stattdessen ins beschauliche Butzbach in der Wetterau. Denn hier wohnt und arbeitet die Buchhändlertochter, die er schon seit der Schulzeit nicht mehr gesehen hat und in die er immer noch ein bisschen verschossen ist.

In seinem neuesten Roman begleiten wir Andreas Maier (*1967) durch seine Studentenzeit Ende der 1980er Jahre, und auch hier – wie schon bei den Vorgänger-Romanen – sind es einzelne kleine Episoden, die er vor uns ausbreitet und mit großer Detailversessenheit durchleuchtet. Die Eingangsszene in Butzbach oder die, in der er unter einer Matratze ein altes Erotikmagazin findet, was ihn zu stundenlangem Philosophieren über sich und sein Leben verleitet, solche Szenen sind sowohl humorvoll als auch nachdenklich. Ernster dagegen – geradezu ergreifend – ist das Kapitel, in dem er als Krankenpfleger der alten Gretel Adorno zugewiesen wird. Sie ist die Witwe des Frankfurter Philosophen Theodor W. Adorno. Nach dessen Tod unternahm sie einen Suizidversuch und ist seitdem pflegebedürftig, schreit und geifert, schlägt und kratzt um sich. Doch für Andreas ist die Faszination dieser Frau – und überhaupt in der Wohnung eines so berühmten Paares zu stehen – größer, als der Schmerz, den sie ihm zufügt.

Man merkt dem Protagonisten erstmals eine Reife an, die zweifellos vom Philosophie-Studium herrührt. In den vorigen Teilen war es Maier, der Autor, der seinen Erinnerungen diese gewisse Tiefe gab, jetzt ist es Andreas, sein Protagonist, der das tut. Doch auch stilistisch macht Maier einen großen Schritt und stellt seinem Helden neuerdings eine innere Stimme zur Seite, die seine Taten kommentiert und mit der er ständig im Dialog steht. Ein weiteres Novum sind die Fußnoten, die es vorher – wenn ich mich recht entsinne – noch nicht gab.

DIE UNIVERSITÄT ist mittlerweile der sechste Band der Ortsumgehung, wir haben also Halbzeit, oder: Bergfest – das Wort passt besser in die Wetterau, wo der Großteil, der Erinnerungen spielt. Ich kann diese Reihe jedem nur wärmstens ans Herz legen, denn sie ist großartig und Andreas Maier ein hervorragender Schriftsteller mit großer Könnerschaft und tiefem Blick in seine Figuren. Die einzelnen Romane sind keine dicken Wälzer, es sind wohldosierte Konzentrate, in denen Maier das zum Ausdruck bringt, wofür andere Autoren fünfhundert Seiten brauchen. Ich bin gespannt auf die folgenden Bücher, auch wenn es bis zu einem Abschluss wohl noch viele Jahre dauern wird.

Hier nochmal die Links zu den Rezensionen der anderen Romane der Reihe:
DAS ZIMMER | DAS HAUS | DIE STRASSE | DER ORT | DER KREIS


DIE UNIVERSITÄT erschien im Suhrkamp VerlaMaier - Universitätg, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke; alle weiteren Informationen findet Ihr hier. Eine ebenfalls positive Rezension lest Ihr auf Marina Büttners Blog Literaturleuchtet. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

6 Gedanken zu “Andreas Maier | DIE UNIVERSITÄT

  1. Es wäre höchste Zeit für mich, endlich mal richtig einzusteigen in die Ortsumgehung. Da ich die meisten Bände nur als Ebooks auf dem Reader habe, mogeln sich aber immer wieder „echte“ Bücher vor. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Liebe Grüße, Petra

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    • Große Empfehlung meinerseits. Man muss die Reihe auch nicht am Stück durchlesen, das ermüdet vielleicht sogar und täte der Ortsumgehung Unrecht. Aber als kleine Häppchen für zwischendurch sind es die perfekten Bücher. Meine Favoriten rückblickend sind Teile 1 und 3. Viel Spaß!

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