Ingo Schulze | PETER HOLTZ. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst

D 2017 | 575 Seiten
S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3-10-397204-7

An diesem Sonnabend im Juli 1974, acht Tage vor meinem zwölften Geburtstag, weiß ich noch nichts von meinem Glück. (Seite 11)

INHALT: Der Weisenjunge Peter ist ein vorbildlicher DDR-Bürger. Seine politische Bildung ist umfassend, er scheut keine Diskussion für sein Ideal zu missionieren und er verabscheut Geld, privates Eigentum und überhaupt jedes Gebahren, das irgend nach Kapitalismus riecht. Bei seinen Mitmenschen gilt Peter mit seiner Linientreue als klug, aber naiv, und spätestens mit Eintritt in die Kirche – als christlich-kommunistischer Demokrat kämpft er nun für das Gute – ist ihm der Ruf als Sonderling sicher.

Durch eine Reihe von Umständen gelangt eine Handvoll Berliner Immobilien als Schenkung in seinen Besitz, die er pflegt und zur allgemeinen Nutzung anbietet. Es ist die Zeit der Wende, die Peter lang erwartet hat und auch politisch stark unterstützt – er ist sicher, dass sich mit dem Öffnen der Grenzen der real existierende Sozialismus endlich in den Kommunismus wandelt, den er sein Leben lang schon erwünscht und angestrebt hat – doch dann wird er von einem Auto überfahren.

Als er aus dem Koma erwacht, ist alles gelaufen: Der Mauerfall, die Währungsreform, die Wiedervereinigung fehlt noch, steht aber kurz bevor. Doch das Schlimmste: Seine Immobilien sind Millionen Wert – Peter gehört jetzt zur Upper Class, seinem erklärten Feindbild. Er versucht, das Geld in christlich-kommunistischer Nächstenliebe zu verjubeln, zu verschenken, an den Mann zu bringen, kann aber gegen die kapitalistische Welle, die die ehemalige DDR überschwemmt nichts ausrichten. Was er auch versucht, es wird immer mehr – Das Geld klebt ihm wie Scheiß am Schuh. Doch er beginnt den Kapitalismus zu beobachten, zu erforschen und findet einen Weg, sich mit Würde vom verhassten Geld zu trennen…

FORM: Ingo Schulze (*1962) hat für seine Geschichte über den klugen, aber furchtbar naiven Peter die Form des Schelmenromans gewählt, die er mustergültig bedient. Eines der Merkmale dieser Romangattung ist, dass die Hauptfigur – der Schelm – kaum eine Entwicklung durchlebt und quasi fertiggestrickt durch die Zeiten und Seiten wandelt. So auch unser Peter hier, der im ersten Kapitel als Zwölfjähriger schon so reif ist, wie als Mittdreißiger am Ende des Romans. Nur die Gesellschaft, das System um ihn herum, hat sich gewandelt, und während er früher als neunmalklug belächelt wurde, hält man ihn später fast für einen Irren.

Der Roman ist souverän geschrieben – besonders die Dialoge sind großartig; sie wirken echt und nicht so verkrampft, wie sonst oft –, wartet mit einer ganzen Reihe unvorhersehbaren Twists auf und besitzt ein fulminantes Ende. Aber das täuscht nicht über einige Schwächen hinweg. Zum einen die Klugscheißerei, die auf Dauer wirklich nervt, denn leider nutzen sich Peters humorlose Schlaumeierei und seine Naivität während der Lektüre schnell ab. Zum anderen bekommt die (Wende-)Politik zu viel Platz im Roman, was ich störend fand, weil es sich nicht um einen in erster Linie politischen Roman handelt. Die Themen liegen hier eher bei Wirtschaft und Gesellschaft, und auch wenn naturgemäß alles miteinander verbunden ist, hätte dem Roman ein bisschen weniger Politik gutgetan.

FAZIT: Auch wenn ich ein großer Fan von Ingo Schulze bin – seine beiden Buchpreis-Kandidaten NEUE LEBEN und ADAM UND EVELYN haben mir ausgesprochen gut gefallen – konnte mich sein Peterchen nicht ganz überzeugen. Das Ende hat mich dann aber doch milde gestimmt, so dass ich guten Gewissens noch vier Sterne vergebe.


PETER HOLTZ erschien 2017 beim S. Fischer Verlagu1_978-3-10-397204-7.61219519. Alle weiteren Informationen findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

2 Gedanken zu “Ingo Schulze | PETER HOLTZ. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst

Hinterlasse einen Kommentar