Donald Antrim | WÄHLT MR. ROBINSON FÜR EINE BESSERE WELT

USA 1993 | 220 Seiten
OT: »Elect Mr. Robinson for a Better World«

Rowohlt Taschenbuch Verlag
ISBN: 978-3-499-27078-9

Denken Sie sich eine Ortschaft, gipsputzrosa und fischbauchweiß, mit Glyzinien und sich wiegenden Palmen hübsch verpackt und nach verfaulten Früchten riechend, die aufgeplatzt unter den Bäumen liegen, Mangos, Papayas, wunderbare Tangerinen.

INHALT: In einer bezaubernden Kleinstadt an der Küste Floridas ist es aus mit dem Frieden, als der Bürgermeister eine Stinger-Rakete in den Botanischen Garten abfeuert und dabei zahllose Einwohner tötet. Pete Robinson, Experte für mittelalterliche Foltermethoden, nimmt an der Strafvollstreckung teil, die darin besteht, den Bürgermeister mittels Geländewagen zu strecken und zu vierteilen. Kurz vor der Hinrichtung nimmt Robinson dem Bürgermeister das Versprechen ab, dessen sterbliche Überreste im Stadtgebiet zu vergraben.

Robinson beginnt mit dem linken Fuß, den er im städtischen Park bestatten will, der allerdings vor lauter Landminen kaum betretbar ist. Zwei verfeindete Familien liefern sich dort einen erbitterten Kleinkrieg. Überhaupt ist die Stadt seit einiger Zeit wie im Ausnahmezustand: Die Schule wurde geschlossen, die Bibliothek steht kurz vor dem Aus, die meisten Wohnhäuser umgeben einfallsreiche und todbringende Fallgruben und Burggräben, ein seltsamer Meereskult gewinnt immer mehr Anhänger, die sich bei kollektiven Trancen in Fische, Muscheln und Krebse verwandeln.

Robinson erkennt, dass sich hier einiges ändern muss. Er will eine Privatschule eröffnen und sich zur Wahl des neuen Bürgermeisters aufstellen lassen. Bei seiner ersten Wahlkampftour durch sein Viertel geht ihm langsam auf, dass es nicht nur kommunale Probleme gibt, sondern dass auch die Gesellschaft völlig verroht und am Ende ist. Aber gehört er nicht auch dazu? Ist er denn so viel besser als die anderen? Der erste Schultag wird es zeigen … und es kommt zur Katastrophe.

FORM: Der Roman ist in Form eines langen Berichtes ohne Unterteilungen geschrieben, den Robinson dem Leser liefert, nachdem alles schon vorbei ist. Er sitzt am Schreibtisch in seinem Dachboden, wo er sich verbarrikadiert hat und sieht durch die Fensterluke seiner Stadt beim Untergang zu. Der Ablauf der geschilderten Ereignisse ist nicht chronologisch geordnet, man muss sich das schon selbst zusammenpuzzeln, was einem aber dank Antrims großartigem Schreibstil nicht weiter schwer fällt. Die Prosa ist trotz der teilweise recht derben Brutalität zum Brüllen komisch. Und sie verrät auch viel über Robinson, denn sie steckt voller Sarkasmus, Selbstverliebtheit und Augenwischerei.

Die scheinheilige Atmosphäre des Romans, dieser Gegensatz von modernen Menschen und ihren völlig abartigen Sitten, erinnert mich stark an Shirley Jacksons Kurzgeschichte DIE LOTTERIE, in der jedes Jahr ein Gemeindemitglied ausgelost wird, das auf dem Marktplatz gesteinigt wird. So wird man auch bei MR. ROBINSON als Leser vor dem Kopf gestoßen, wenn man sich gerade mit all den Figuren anfreundet. Antrim trifft einen Nerv, der nicht oft angesprochen wird … zumindest nicht beim Lesen. Man fühlt sich regelrecht betrogen und das ist interessant.

Dem Roman ist ein Vorwort von Jeffrey Eugenides vorangestellt, das sich meines Erachtens als Nachwort besser geeignet hätte, da schon sehr viel vorwegenommen wird. Wer sich also ungewappnet auf den Text einlassen will, sollte sich den (lesenswerten) Beitrag für später aufheben.

FAZIT: Lange nicht mehr so gelacht! Ich gebe zu, dass mir der Name Donald Antrim vorher nichts sagte, umso mehr bin ich erfreut über diese Entdeckung und gespannt auf die anderen Bücher. Es gab Ende der Neunziger schon mal einen Versuch, Antrim dem deutschen Publikum nahe zu bringen (damals unter dem Titel DIE BESCHIESSUNG DES BOTANISCHEN GARTENS), allerdings wohl ohne größeren Erfolg. In Amerika dagegen wird er schon lange von Größen wie Jonathan Franzen in den Himmel gelobt. Jetzt ist er mit den Neuveröffentlichungen seiner Romane bei Rowohlt auch bei uns in aller Munde und das kann man nur begrüßen, denn sonst wäre uns ein ganz großer Fisch durch die Lappen gegangen. Sehr empfehlenswert (nicht nur für angehende Grundschullehrer oder Bürgermeister) und für mich persönlich auf jeden Fall einen Re-Read wert. Fünf Sterne!

12 Gedanken zu “Donald Antrim | WÄHLT MR. ROBINSON FÜR EINE BESSERE WELT

    • Und wie, mittlerweile ist -die alte, günstige Ausgabe- Beschießung des botanischen Gartens, schon halb weggelesen und ich völlig begeistert. Ohne deine treffende Rezi wär mir eine großartige Neuentdeckung entgangen. Würde gerne auf deinen Blog und Rezi verlinken, wenn ich meine poste. Wäre das ok?

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